Feldzugs-Erlebnisse
des
Kriegsfreiwilligen
Paul Wolf





Wohlauf, Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd! ins Feld, in die Freiheit gezogen! Im Felde da ist der Mann noch was wert, da wird das Herz noch gewogen! da tritt kein and’rer für ihn ein, auf sich selber steht er da ganz allein.

Schiller.        







Paul Wolf

Paul Wolf
(29.5.1895 - 11.2.1942)




Erst während der Somme-Schlacht im Oktober 1916 kam mir der Gedanke, wie schön es doch sein müßte, später mal all seine Erlebnisse während des Krieges nachlesen zu können, alles Schöne und Schwere während der langen Frontzeit.
Damals also fing ich an, alles was mich betraf, in Tagebuchform niederzuschreiben - mal mehr, mal weniger, oder auch nur Stichworte, von denen ich glaubte, daß sie genügten, mir später wieder alles ins Gedächtnis zurückzurufen. Das Meiste hat sich ja auch so fest eingeprägt; des Erlebens wurde aber mit der Zeit zu viel, und Einzelheiten, die das Festhalten auch wert waren, vermischten sich bald.
Nun geht's schon ins Jahr 1920 hinein und ich will doch endlich anfangen, mir aus den rohen Umrissen ein festeres Gefüge zu bauen. Schriftsteller bin ich nicht und so kann ich eben nur schreiben, wie es mir gerade in den Kopf kommt.

Paul Wolf
Leutnant der Res.
im Niederschles. Pi. Batl. Nr. 5







[1914] Die Landheimweihe, ein Tag frohen und ungebundenen Wandervogellebens, war vorbei - unsere ansehnliche Horde langte wieder in Glogau [Glogów] an, und das erste, was wir hier hörten, war die Kunde von der Ermordung des österreichischen Thronfolgers in Sarajevo.

Die älteren von uns wußten schon, was das auf sich haben könnte, und der darauf folgende Depeschenwechsel ließ auch bald das Schlimmste vermuten, und brachte auch bald Klarheit, daß er Krieg bedeutete. - Es war keiner unter uns, der sich deshalb gebangt hätte - im Gegenteil, wir freuten uns alle darauf, daß endlich einmal ein anderer Wind pfeifen sollte.

Das hielt mich aber nicht ab, mit noch zwei frischen fröhlichen Jungens, meinen alten treuen Freunden Herbert Kurzke und dem Harry (jetzt heißt er Heinz) Wolff auf große Fahrt zu gehen.

Unser Ziel war Jägerndorf in Österreich-Schlesien [Mährisch-Ostrau], wo wir unseren Jambo, den Begründer der Glogauer Ortsgruppe, besuchen wollten. Unser Weg führte uns durch das Waldenburger Gebirge, die Heuscheuer, das ganze Glatzer Gebirge über den Schneeberg und den feinen Altvater [Mähren] zu ihm. Eine prächtige Fahrt war's.

Unterwegs, besonders in unseren österreichischen Bleiben, kam immer wieder das Gespräch auf die drohende Kriegsgefahr. „Ihr Reichsdeutschen werdet uns doch nicht verlassen,“ fragten unsere österreichischen Stammesbrüder immer wieder, und wir konnten sie nur immer wieder unserer Hilfe versichern. Und wenn wir dann die Wacht am Rhein anstimmten, sang alles begeistert mit und die Stimmung wurde zuversichtlicher.

Unseren lieben Jambo sahen wir damals zum letzten Male - keiner von uns ahnte es - er starb im November 1914 als freiwilliger Jäger in Flandern den Heldentod, tief betrauert von uns allen.

Gruppe
Paul Wolf und Kameraden

Gegen Ende Juli mehrten sich die Sturmzeichen, ich glaubte nicht mehr an Frieden, und schon am 31. Juli erwarteten wir alle die Kriegserklärung. Vor den Zeitungen staute sich alles, jeder wollte zuerst hören was los ist, und ich hatte auf meinem Speicher draußen auch keine Ruhe mehr und sauste hin und wieder mal mit dem Rade in die Stadt. Der nächste Tag brachte erst die Entscheidung - die Kriegserklärung. Wohl dreimal war ich an diesem Nachmittage bei der Zeitung gewesen, um gleich Bescheid zu wissen, und nun stand es bei mir fest, als Kriegsfreiwilliger mitzugehen.

„Wo melde ich mich,“ fragte ich mich zuerst. Pionier zu werden, lag mir am nächsten. Bei uns hatten immer viele Pionier-Offiziere gewohnt, und an der Waffe hatte ich viel Freude. Und ich hab's selten bedauert, daß ich gerade Pionier geworden bin.

In der Stadt war ein toller Betrieb, eine Begeisterung ohnesgleichen. Man hörte überall singen: „Deutschland, Deutschland über alles“ und „Es braust ein Ruf wie Donnerhall“. Es gab wohl kaum einen Menschen, der nicht mitgerissen wurde - damals, heute kann man sich das nicht mehr vorstellen.

Am Sonntag, 2. August, ging ich auf's Geschäftszimmer unseres Pionier-Bataillons 5, um mich als Freiwilliger zu melden. Ich wurde groß angestaunt, und mir wurde bedeutet, ich solle am nächsten Morgen wieder kommen - und ich brannte doch so sehr darauf, endlich meine Uniform anziehen zu können. So hatte ich also an diesem Nachmittage noch Zeit und Muße, mir das Leben in den Straßen anzusehen.

Truppentransporte gingen zur Bahn und kamen von dort, alle Brücken waren unter scharfer Bewachung. Welch wilde Gerüchte schwirrten durch die Gegend von Goldraub, Spionen, und was sonst noch alles geglaubt wurde. Manch Unschuldiger hat damals ordentlich seine Jacke vollgekriegt!

Auf dem Platze zwischen unserem Hause und der Realschule war eine Batterie zur Fliegerabwehr aufgefahren, und alles ging natürlich hin, um sich das Schauspiel anzusehen. Da plötzlich - ein heller Punkt am Himmel, es kann natürlich nur ein feindlicher Flieger sein. Die Geschütze wurden schon gerichtet und schußbereit gemacht - bis endlich ein alter Schiffer darauf kam, daß es doch auch ein besonders heller Stern sein könnte - und da lachte alles vor Vergnügen. So ähnliche Scherze kamen sehr oft vor, die aufgeregte Phantasie macht aus allem etwas.

Montag früh ging ich gleich wieder hinaus in die Kaserne und wurde zur Untersuchung geschickt. Stabsarzt Dr. Metzner, der mich von früher kannte, fragte mich auch ganz erstaunt: „Na, Wölfchen, wollen Sie auch Soldat werden und sich totschießen lassen? Ein bißchen schwach, aber wir wollen's versuchen.“ Glückstrahlend meldete ich mich dann bei der Freiwilligen-Annahmestelle, wo bereits eine größere Anzahl angekommen war. Und immerfort kamen neue, die sich der guten Sache zur Verfügung stellten. Ich kam zu der 2. Ersatz-Kompanie, die, da das aktive Bataillon noch nicht abgerückt war, auf dem höchsten Boden [Unterdachgeschoss] untergebracht war.

Am nächsten Tage, 4. August, wurden wir eingekleidet und fühlten uns nun erst als stolze Pioniere. Fortwährend kamen neue Reservisten an, und die Kaserne war so schon überfüllt. Am Nachmittage richteten wir uns etwas häuslich ein, jeder schleppte sein Bündel Stroh nach oben, und bald fühlten wir uns auch heimisch.

Wir machten uns miteinander bekannt und hofften alle auf baldiges Hinausgehen. Am 5. August fing unser Dienst an, wir wurden in Korporalschaften eingeteilt, und wir bekamen Unteroffiziere, ältere Herren, die uns das Leben nicht allzu schwer machten. Sie merkten ja auch bald, daß wir alle mit Lust und Liebe dabei waren und uns die größte Mühe gaben.

Unsere Kompanie zählte etwa 250 Freiwillige, von denen der weitaus größte Teil das Einjährige hatte, und nur wenig Ersatz-Reservisten, die aber von unserem frischen Geist bald angesteckt waren. Das Exerzieren fing an - allerdings anders, als wir es uns vorgestellt hatten. Anstatt gleich Gewehre zu kriegen, mußten wir erst Laufen lernen - und das wurde stundenlang, abwechselnd mit Stillgestanden, geübt. Die Aktiven rückten ins Feld, wie gerne wären wir gleich mit hinausgegangen! Aber das hatte noch Weile, wie wir noch erfahren mußten.

Wir Glogauer, und das waren sehr viele, wollten uns doch mal in Uniform in der Stadt sehen lassen und baten deshalb am Abend den Feldwebel, uns gehen zu lassen. „Allein auf keinen Fall, wenn einer von den Ausbildungspionieren mitgeht, dürft ihr gehen,“ sagte er dann, nachdem wir ihm gesagt hatten, daß er durch uns nicht die geringsten Schwierigkeiten haben werde. Und wer achtete denn damals bei dem Rummel in der Stadt auf einen kleinen Pionier.

Also gingen wir dann, nachdem wir uns auf eine bestimmte Zeit wieder verabredet hatten, jeder einzeln los. Mein erster Weg war nachhause, und da machten alle große Augen. Mein Vater wußte noch garnichts davon, er freute sich aber doch darüber. Um 10ºº trafen wir uns dann alle wieder und zogen nach der Kaserne, als ob wir den ganzen Abend immer so schön brav beisammen geblieben wären. Eine Kompanie zog gerade begeistert zur Bahn - und wir mußten wieder auf unseren Oberboden ins Stroh klettern.

Die nächste Zeit verging mit dem üblichen Rekruten-Exerzieren. Abwechslung war ja gerade im Pionier-Dienst genug. Am meisten Spaß gab's immer an der Hindernisbahn. Einige kamen natürlich nie über die hohen Wände und besonders über einen, den dicken Müller stud. techn. amüsierten wir uns am meisten. Er nahm's aber nicht übel, sondern hatte selbst seinen Spaß daran. Wir kriegten dann auch endlich Gewehre, gingen schießen, und nach einiger Zeit bekamen wir feldgraue Sachen verpaßt, die wir aber noch nicht anziehen durften. Und wie gern hätten wir sie uns anlegen wollen, wenn wir nur hinaus gehen konnten!

Allmählich bekamen wir von allem, was zum Pionierdienst gehört, einen kleinen Begriff, wir ruderten, bauten Brücken, sprengten und bauten auch um Glogau herum Schützengräben und Drahthindernisse. Manch schönes Waldstück wurde wegen der Russengefahr von uns umgelegt! Aber das half nun nichts, Krieg ist eben Krieg. Unsere Unteroffiziere behandelten uns sehr nett, sie waren ruhig, denn so ging es doch besser, als mit Schnauzen. Der Kompanie-Führer, Leutnant Bumberg, war äußerst lieb zu uns, fuhr auch mal, was sehr selten notwendig war, mit einem Donnerwetter dazwischen, wenn es zu bunt wurde. Wir hatten ja alle Spaß am Dienst und machten unsere Sache so gut wir konnten, und das wollte doch jeder.

Inzwischen liefen die Siegesnachrichten von Lüttich, Namur, Antwerpen, von unserem Vormarsch auf Paris usw. ein, sodaß wir schon Bange hatten, selbst nicht mehr hinauszukommen. In den ersten Oktobertagen fragte unser Kompanieführer, wer von uns gern hinaus möchte. Alle traten wir vor; es wurden aber nur 8 Mann herausgesucht, von den anderen stark beneidet.

Bald kam auch für uns der Tag des Abrückens. Wir hörten, das ganze Erste Bataillon solle geschlossen nach Rußland gehen, wohin es uns ja weniger zog. Der Westen war unsere Parole; den Franzosen wollten wir das Fell versohlen.

Am 9. Oktober früh wurden unsere schon eingepaßten und mit Namen versehenen feldgrauen Sachen ausgegeben, wir sollten im Laufe des Tages abrücken. Aber es wurde Nacht, und wir blieben in der Kaserne. Der weitaus größte Teil von uns hatte sonst außerhalb schlafen dürfen, und so wurde uns diese Nacht nicht gerade angenehm, denn wir mußten über 60 Mann in einer Stube bleiben. Jeder half sich, so gut es ging - es blieb nicht die erste schlaflose Nacht in einer engen Unterkunft.

Sonnabend, 10. Oktober, Mittag sollte es bestimmt losgehen, jeder erhielt 60 Patronen, eiserne Rationen usw. Die Kasernen durften wir nicht mehr verlassen; schadete auch nichts, wir erhielten unsere Liebesgaben auch in der Kaserne. Von daheim hatte ich schon Abschied genommen - es ist mir nicht schwer geworden.

Abends um ½ 10 rückten wir dann endlich zum Bahnhof - unter den Klängen von „Preußens Gloria“, mit dem ich nachher noch manches Mal hinausrückte, zogen wir die Königsstraße hinunter, von einer mächtigen Menschenmenge begleitet. Es waren sehr viele Glogauer unter uns. Der Vater des neben mir marschierenden Mahler Max, ein alter Freund von mir, rief uns noch zu: „Und bringt mir das Kreuz mit nach Hause!“ Worauf ich in meinem Übermut zurückrief: „Alle beide“ - und ich hab' recht behalten.

Unser Zug ist ziemlich lang; er soll ja auch drei Ersatz-Kompanien und eine Landsturm-Kompanie hinausbringen. Auf dem Bahnhofe erhielten wir noch eine Unmenge an Liebesgaben und Blumen, jeder wollte den Scheidenden eine Freude machen. Mir war's wirklich nicht zu Mute, als ob's ins Feld gehen sollte. Die daheimgebliebene Kapelle spielte uns den Abschiedsmarsch und wir sangen unser „Muß i denn zum Städtelein hinaus.“ Ich hatte allerdings keinen Schatz, dem ich's singen konnte.

Über Lissa brachte uns das Zügle nach Ostrow, wo wir feine Verpflegung kriegten. Dann ging's weiter, es wurde schon ziemlich kalt. Wir sprachen davon, was uns wohl bevorstehen würde, und dachten auch an unsere Ausbildungszeit zurück, von der ich noch viel mehr hätte schreiben können.

Sonntag, 11. Oktober, früh fuhren wir über die russische Grenze. Die erste Station war Kabisch. Der Bahnhof und der Ort selbst sahen böse aus, die ersten Spuren des Krieges; alles verbrannt, ganze verbrannte Züge standen noch da. Gegen Mittag trafen wir in Lieradz ein, wir stiegen aus, machten unsere Gewehre schußfertig, und zogen in die Stadt ein.

Im Theater machten wir Quartier, nicht gut, dafür recht kalt. Ans Essen dachten wir natürlich zuerst, für den Soldaten die Hauptsache. Als Feuerholz diente uns ein Zaun, und nachher kam noch eine Gartenlaube dran. Kessel wurden „requiriert“, und das war gar nicht so ganz leicht. Die Stadt wimmelte von Juden, die uns Zigaretten, Eier und andere Eßwaren aus ihren schmierigen Händen anboten.

Lieradz selbst war noch ein einigermaßen sauberes Nest, sehr viel Militär lag darin. Auf dem Marktplatz war der große Brunnen dauernd in Betrieb, mancher Judenbengel hat da eine Stunde und länger drehen müssen, bis er endlich seinen Eimer vollgepumpt hatte. Abends ging ich mit anderen zusammen in eine der vielen Teestuben, die alle in jüdischen Händen waren. „Trinken der Herr Habatta (Tee) mit Zucker, oder mit ohne Zucker“ fragten sie, und wir amüsierten uns köstlich über das jiddische Deutsch, das sie alle sprachen.

Am 12. Oktober früh rückten wir nach Noa-Zapusta, einem kleinen Dörfchen in der Nähe von Lieradz. Wir sollten eine Behelfsbrücke über einen Bach, der die Straße Kalisch-Lodz kreuzte, bauen. Die alte Brücke war von den zurückgegangenen Russen zerstört worden.

Mein Quartier war ein Pferdestall, ohne Decke verdammt kalt. Mitten im trockenen Mist fand ich dann eine Strohmatte, die mir als Decke gute Dienste leistete.

Am 13. frühzeitig fingen wir mit der Arbeit an; es war 2° Kälte und alles bereift. Hinter unserem Quartier war ein großer Stapel Telegraphenstangen, die das Holz zur Brücke geben mußten, und die wir zur Arbeitsstelle trugen. Zum Festermachen der Brücke brauchten wir Bandeisen, das aus dem Dorfe geholt werden sollte - ich war nicht zufrieden, als Ersatz dienten dann Faßreifen usw.

Das Dorf selbst war ein elendiges, dreckiges Kaff. Das einzige Schöne war ein riesiges altes Holzkreuz, das mitten auf dem Platze vor unserem „Hause“ stand. Unser Feldküchenessen war immer ausgezeichnet, und abends hatte jeder selbst etwas - ein „gekauftes“ Huhn oder sonst etwas. Wir saßen dann alle zusammen um ein großes Lagerfeuer und sangen alle möglichen und unmöglichen Lieder.

In dieser Nacht ging ich auf Patrouille - es ist damals mitunter vorgekommen, daß Kosaken durch unsere nicht allzu dichte Front durchkamen, und hinten allerhand anrichteten. Wir hatten aber Ruhe.

Am 15. mittags war unsere Brücke fertig und wir zogen ein Stück weiter nach Szamdzew Zapusten, genauso einem elenden Nest wie das andere. Auch hier sollte eine Brücke gebaut werden. Vorläufig ging der Verkehr durch eine seichte Stelle des Baches neben der Straße. Unsere Unterkunft war eine Scheune, in der die ganze Kompanie hauste. Ein Vergnügen war es nicht gerade, aber sie war noch halb voll Stroh. Durch das Dach und die Wände schien der Mond, und fast alle froren furchtbar. Ich nicht, ich hatte mich so tief verkrochen, daß ich fast nicht mehr heraus gekommen wäre.

Am andern Morgen ging's feste an die Arbeit; immer nur Balken schleppen ist nicht schön, und abends merkte ich meine Schultern ordentlich. Das war doch etwas anderes als in Glogau auf dem Wasser-Übungsplatz.

Im Dorfe gab's feine gute Äpfel, die wir uns bald zu Gemüte führten. Viel Spaß hatten wir beim Bau: Zur Deckung stand ober- und unterhalb an der Straße eine Wache, die ein sehr angenehmes Leben führen konnte. Zweimal erwischte ich auch diesen Druck und wir richteten uns häuslich ein. Was wurde da alles gegessen! Gänse, Hühner, Eier, Speck, Kartoffeln - alles umsonst, das heißt, das wurde mit List und Tücke verschafft. Jedes Fuhrwerk, und das waren meistens jüdische, wurde angehalten und nicht eher durchgelassen, bis es etwas herausgab, und so kamen wir dazu und auch zu Zigaretten, die uns sehr gut schmeckten.

Am Morgen des 19. war auch diese Brücke fertiggestellt, und wir marschierten nach Wartha an der Warthe. Die gute Straße hörte bald auf, und dann ging's auf einem elenden, durchweichten Feldwege weiter nach unserem Bestimmungsort. Mit hellem Gesang zogen wir dort ein, und die Bewohner rissen Mund und Nasen auf, freuten sich aber recht sehr, da sie vor den Russen eine heillose Angst hatten - also vor den eigenen Landsleuten.

Wartha selbst, ein schönes sauberes Städtchen, hatte wenig Militär, und so konnten wir fein untergebracht werden. Wir kamen alle in Häuser am Markt, allerdings auch nur auf Stroh. Über die Warthe sollte eine große Kolonnenbrücke gebaut werden, und das machte uns mehr Spaß als die kleinen vorher.

Am ersten Morgen wurden wir auf sehr komische Art und Weise geweckt: Ein Judenbengel kam zu uns und brachte uns Semmeln, die er reißend los wurde, trotzdem unsere übrige Verpflegung sehr gut war. Von der Küche bekamen wir auch Weißbrot, jeden Morgen zwei Semmeln und abends Wurst. Sonst gab's ja auch alles zu den billigsten Preisen zu kaufen. Ein Pfund Butter 0,40 Mark, 4 Eier 10 Pfg., ein Pfund Wurst 50 Pfg., eine gebratene Gans 2 Mark. Und da haben wir ordentlich gelebt.

Der Brückenbau ging gut vonstatten, es war immerfort ziemlich kalt und regnerisch, aber mir wurde bei der strammen Arbeit recht warm. Allmählich war es mir zu dumm geworden, nur immer Balken zu schleppen, und ich meldete mich dann mit als „Zimmermann“, so hatte ich's bedeutend leichter.

Ein Feldwebel, Stdr. Onkel Franz, wie wir ihn nannten, behandelte uns ziemlich schlecht, und dem wollten wir mal einen Schabernack spielen. Zum Aufsetzen der Brücken brauchten wir Flöße, und als eines Tages mal Onkel Franz auf einem solchen stand, verließen wir es alle, und er schwamm allein ab. Wir freuten uns diebisch über seine Wut, schade daß er nicht hineinfiel, das hätte uns noch mehr Spaß gemacht.

Abends besuchten wir auch in W. die Teestuben, und nun wollte doch auch jeder mal jeder echten Wuttei trinken. Der Ausschank war leider verboten, aber wenn man „kalten Tee“ verlangte, kriegte man schon das richtige.

Nach Fertigstellen der Brücke mußte die Kompanie mit draußen eine Aufnahme-Stellung bauen, denn es fing an brenzlig zu werden. Wir freuten uns schon, auch mal ins Gefecht zu kommen, aber es wurde nichts daraus. Unsere Truppen, die damals schon bis kurz vor Warschau gekommen waren, mußten zurückgehen.

Am 27. Oktober verließen auch wir das schöne Wartha und marschierten nach Sieradz zurück. Als Quartier bekam wir ein schönes Haus ohne jede Einrichtung. Stroh gab's auch nur sehr wenig, und so war es wirklich nicht zum Totlachen. In Sieradz selbst war ein dicker Betrieb, nichts als Juden und Soldaten. Am 28. bauten wir quer über alle Furten, die durch die Warthe führten, Drahthindernisse, manchmal bis an den Bauch im Wasser stehend. Bei der Kälte auch recht schön. über der sehr gut gesprengte Eisenbahnbrücke war beim Vormarsch eine Kriegsbrücke gebaut worden, die wir am 29. abbauen mußten.

Bei der zurückkommenden Infanterie traf ich einen [unleserlich] G l . W . V. Erdmann, und die Freude war natürlich groß. Bis abends war die Arbeit beendet, und wir wußten, was wir geschafft hatten. Am nächsten Morgen baute ich mit noch einigen ein Drahthindernis direkt in der Warthe, während die anderen schwere Eisenbahnschienen schleppen mußten.

Mittag rückten wir zum Bahnhof und waren sehr enttäuscht, als es hieß, es ginge nach Glogau zurück. In Ostrowo wurden wir wieder aufs beste verpflegt, hier gab ich auch mein letztes Geld aus und behielt nur ein russisches 5-Kopeken-Stück übrig, das ich heute noch bei mir trage.

Der 31. Oktober fand uns wieder in Glogau; wir waren ja schon im „Kriege“ und konnten was erzählen. Am 2. November fing der gewöhnliche Dienst wieder an. Und so ging's bis zum 15. Zweimal schob ich am Wasser-übungsplatz Wache, die immer ganz nett war; mehrmal mußten wir nachts in der Kaserne bleiben, da Probealarme stattfinden sollten.

Am 16. früh beim Antreten hieß es, es sollte . . . . ersatz nach Frankreich hinausgehen. Unser Kompanieführer suchte 40 Mann heraus, unter denen auch ich war. Endlich geht's hinaus! Nachmittags wurden wir eingekleidet, und am 17. mittags ging's wieder mit Musik zur Bahn, mit guten Ratschlägen, warmen Unterhosen und sonstigen Liebesgaben gut versehen. „Auf Wiedersehen Glogau!“

Die Fahrt durch Deutschland war prachtvoll, über Leipzig-Hof durchs feine Maintal bis Worms, über den rhein, und am 20. früh ging's über die französische Grenze. Was es auf allen deutschen Bahnhöfen an Liebesgaben gab, läßt sich nicht beschreiben. Wir konnten nicht alles schaffen, und es war jammerschade um das, was so verschwendet ..........Leutnant Hotzel. .....wurde.

Die erste Station auf französischem Boden war Andun-le-Roman, hier sahen wir schon die ersten Kriegsspuren, toll sah's aus und wir kriegten so einen kleinen Vorgeschmack, daß es im Westen doch anders würde als in Rußland. In Longurgne sah es noch böser aus - in Malmedy stiegen wir um und weiter ging's mit der Kleinbahn Richtung Verdun. Auf der Fahrt erkannte ich in einem Feldlazarett-Inspektor einen Glogauer, wir kamen bald ins Gespräch, und er lud mich und meinen Kameraden den Malitzki ein, bei ihm zu übernachten. In Damvilless stiegen wir aus, die anderen kampierten in einem Stall, und wir beide hatten ein feines Quartier. Beim Abendbrot erschien plötzlich Stabsarzt Dr. Metzner, der sich auch freute, mich zu treffen, und so saßen wir bei feiner Unterhaltung noch die halbe Nacht.

Am Morgen des 21. rückten wir weiter, unser Gepäck wurde auf Veranlassung von Dr. Metzner gefahren, nach Mangiennes. Hier lag unsere neue Kompanie 1 Res. Pi. 5. Quartier richteten wir uns auf einem Heuboden ein, das uns aber bald zu kalt wurde. Wir zogen um und hatten zu 8 Mann ein kleines Vorzimmer in einem Hause.

Am 23. abends rückte ich das erste Mal mit in Stellung. Wir bauten im Bois de Hayes Strauchmasken und deckten Unterstände ein. Es war doch ein eigenartiges Gefühl, als die ersten Granaten über unsere Köpfe pfiffen - jeder duckte sich unwillkürlich; na, bald waren wir es gewöhnt. Nun ging's fast jeden Nachmittag hinaus - 3 Stunden Marsch - Arbeit - 3 Stunden zurück. Und wie sahen wir aus, wenn wir zurückkamen? Wie aus dem Lehm gezogen. Und fortwährend regnete es, sodaß die Sachen fast nicht mehr trocken wurden. Es war nicht schön, in den finsteren Nächten mit der Drahtrolle auf dem Rücken durch's Gelände zu tigern. Auf dem schmalen, selbst durch den dichten Wald gehauenen Wegen ging's meistens bis an unseren ersten Graben, und dann wurde geklopft und gezogen. Der Franzmann machte es auch so, und oft sahen wir uns gegenseitig, ohne uns etwas zu tun. Oft wurden wir von der eigenen Infanterie beschossen, und erst auf unseren Ruf: „Nicht schießen, Pioniere“ hörten sie auf.

Diese Bauarbeit ging ohne besondere Zwischenfälle bis zum 13. Dezember. In der Ruhezeit hatten wir genug mit dem Reinigen unserer Sachen zu tun, außerdem bauten wir an der Straße nach Pillar eine Sturmstellung. Die Hindernispfähle, die wir vorne verbauten, mußten wir uns selbst aus dem nahen Walde holen, und darin fanden wir noch manches, was die Franzosen in ihrer Eile verlassen [unleserlich] hatten. Stiefel, Gamaschen, Gewehre und andere Ausrüstungsstücke.

Unser Dorf war ziemlich groß, aber ziemlich verwahrlost; es lag voll Militär. Von unserem Quartier sahen wir bis zur Front, nachts vor uns die Romagner Berge mit dem oft beschossenen Gundl-Juxno, den Herbe bai und links den großen Wald, vor dem sich nun Ozannes, über Höhe 267. Grennilly, Höhen 310 und 307 bis Mamant unsere Divisionsfront hinzog. Den Boden um die Verduner Umgebung habe ich oft verflucht - in der Ebene Ton und Lehm, auf den Höhen dasselbe und darunter Kalkstein. Der Bau von Gräben war eine verdammt unangenehme Beschäftigung.

Am 14. Dezember früh wurden wir durch heftiges Artilleriefeuer geweckt, auf den Höhen 310 und 307 rauchte es tüchtig. Wir machten uns bald fertig, und ich war im Druck, was ich mit meinen 12 Päckchen, die ich tags zuvor erst von zu Hause gekriegt hatte, anfangen sollte. Das Beste nahm ich mit, das andere versteckte ich im Stroh.

Die Franzosen hatten die Höhen angegriffen, und nun sollten sie von uns wieder genommen werden. Wir rückten ab - auf Wiedersehen, alte Bude. Unterwegs wurde für's Gefecht eingeteilt, mir war garnicht zu Mute, als ob irgendwas besonderes los sein sollte. Ungefähr 3 km hinter der Stellung hielten wir und blieben in Bereitschaft. Schon auf dem Marsche trafen wir eine Anzahl von Verwundeten, die uns vom Stand des Gefechts berichteten. Vorn hörten wir noch mehr: Die Franzosen hatten am frühen Morgen mit nur 3 Regimentern die Höhe angegriffen und uns hinunter geworfen. Ein sofort eingesetzter Gegenangriff von nur 2 Kompanien der R. 7. R. 46 hatte sie aber schon wiedergeholt. Die Franzosen gingen in hellen Haufen zurück und wurden von unserer Artillerie und M.G. zusammengeschossen. 200 Gefangene blieben in unserer Hand. Wir erwarteten in unserer Bereitschaft immer noch neue Befehle zum weiteren Angriff, der aber dann unterblieb.

Unser Bereitschaftsplatz war sehr ungünstig gewählt, wir lagen gerade an einer Wegkreuzung, die der Franzose selbstverständlich unter Artilleriefeuer nahm; na, die Sache war immer noch im Vergleich mit später sehr harmlos. Das einzige unangenehme war ein Schrapnell, das gerade beim Essenempfang - es gab Erbsen, die ich so gerne esse - über unserer Gulaschkanone platzte, aber keinen Schaden anrichtete. Inzwischen war es ruhiger geworden, und wir marschierten heimwärts - meine Päckchen fand ich noch alle vor, und daran lag mir vorerst am meisten.

Bis zum 23. Dezember hatten wir vorn die Schäden wieder auszubessern - es sah doch ziemlich wüst aus - und bei dem nächtlichen Hindernisbau stolperten wir noch über manchen toten Franzmann. Es waren furchtbare Regentage, ein Tag wie der andere, ohne aufzuhören. Oft habe ich zur Sicherung vor unserem Drahthindernis gelegen, damit mit Ruhe gebaut werden konnte - von oben und unten naß. Wenn wir morgens nach Hause rückten, schliefen wir beim Laufen, so angestrengt waren wir.

Nun ging's an eine neue Arbeitsstelle - Höhe 267. Wir fuhren mit Wagen - immer 18 - 25 Mann auf einem - bis ziemlich nahe an die Stellung heran, und dann ging's auf einem Wege, auf dem wir bis weit über die Knöchel im Lehm versanken, nach vorn. Rechts der Höhe lag das Dorf Azannes, links Grennilly, beide schon ziemlich stark zerschossen. Wir sollten um die ganze Höhe Drahthindernisse bauen und Schützengräben anlegen. Die Höhe selbst war nur schwach besetzt, da sie vom Cap aus, das rechts vorgeschoben lag, flankiert werden konnte, und so mußten wir uns nachts beim Bau selbst sichern. Das war so etwas für uns Freiwillige - auch ich war nachts fast immer auf Patrouille, während die alten Knochen lieber arbeiteten.

Den heiligen Abend feierten 2 Züge in einem großen Schuppen, der sehr fein ausgeschmückt worden war, in unserem Mangiennes. Die Feier war sehr stimmungsvoll; unser Kompanieführer ObrLtn [Oberstleutnant] Groy hielt eine sehr gute Ansprache, dann sangen wir unsere alten, feinen Weihnachtslieder, und zogen dann mit unseren reichlichen Liebesgaben ins Quartier, wo erst mal ein richtiger Grog gebraut wurde. Aber nicht mal dabei hatten wir Ruhe; die Pionier-Mädchen für alles mußten erst einen im Dorf ausgebrochenen Kaminbrand löschen. Und dann wurde erst noch mal gefeiert, sogar einen feinen Christbaum hatten wir uns rechtmäßig besorgt - Tannen und Fichten waren nicht oft anzutreffen.

Am 25. früh ging ich in Stellung - unser Zug hatte Tagesschicht. Wir hatten es jetzt leichter - wir arbeiteten 12 Stunden und hatten 24 Stunden Ruhe. In der Christnacht war Schnee gefallen, und nun kam auch bei uns die richtige Weihnachtsstimmung. Allerdings taute es mittags schon wieder.


→1915